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Über die Kelten und Germanen, die eigentlich weder Germanen noch Kelten waren...

Auf Spurensuche nach unseren nordeuropäischen Vorfahren muss man schon geduldig sein und am besten folgt man seiner Intuition und instinktiven Impulsen. Denn wenn man hier, begierig nach Wissen, nach dem Nektar der Weisheit sucht, bleibt man nicht selten am Römischen Imperium hängen, dass ich oft, verärgert über diese Tatsachen, wie einen Vorhang aus klebrigen Fliegenfängern empfinde. Das hat imperiale Propaganda so an sich. Sie verkündet sich verheißungsvoll als alternativlos, ohne davor und ohne danach – einfach superb und ewig gültig! Doch was ist, wenn man diese wahnhafte imperiale «Ich/Wir über alle/alles» Manie mal beiseite schiebt, die vielen Landmark-Fläggchen mit römisch-imperialer Symbolik ignoriert und sich Europa vor der blutigen Eingemeindung in das Römische Reich vorstellt? Was war da eigentlich? Wie sah dieses Europa aus? Natürlich weiß ich es nicht, aber für mich vorstellbar wären, viele ureuropäische Stämme, Völker und Reiche, auf ihre Weise hochkultiviert und organisiert, die in einer Art Urwald aus Eichen, Birken und allerhand anderen heimischen Bäumen lebten.

Mit der großen Völkerwanderung kamen Menschen aus östlicher Richtung: Asien und dem heutigen Territorium von Sibirien und anderswo und mischten sich, ob friedlich oder kriegerisch, unter die Stämme Europas. Das Ganze vollzog sich nicht in Dekaden sondern in Jahrhunderten und Jahrtausenden. Nun kam der gut organisierte Caesar, mit seinem Hang und seiner Vorliebe zu kategorisieren, strukturieren und zu expandieren daher, überrannte die Mitte und den Norden Europas und suchte nicht nur nach Namen für die «wilden» Nordfrauen- und männer, sondern auch nach einem geeigneten Rahmen diese Völker zu gruppieren und einzuordnen. Ihm gehörte die Welt und auf seinen Landkarten gestaltete er flugs mit einem Federkiel Europa. Die zu erobernden oder bereits eroberten Regionen bekamen einen hübschen Provinznamen. Östlich des Rheins hieß alles Gallien und die dort lebenden Menschen hießen dann mal eben Kelten oder Gallier (Celtae oder Galli) , westlich vom genannten Flüsschen wohnten von nun an die Germanen. Das Wort «Kelte» zum Beispiel entstand aus Keltoi, dem Namen einer Stammes-gemeinschaft, die zwischen der Donauquelle und dem heutigen Marseille siedelte, also einer recht überschaubaren Region Europas. Im damaligen Europa gab es von Irland bis zur iberischen Halbinsel, vom Atlantik bis zu den Karpaten eine Vielzahl regionaler Völker oder Stammgemeinschaften mit jeweils eigenem Brauchtum und unterschiedlichsten Gottheiten. Daher kann man, meiner Meinung nach und im eigentlichen Sinne, gar nicht von keltischen Göttern und keltischen Bräuchen sprechen. Der Professor für Althistorik Mischa Meier von der Universität Tübingen hat es mal frei heraus und völlig unakademisch, die Germanen betreffend, auf den Punkt gebracht, als er sagte: «Caesar hat die Germanen erfunden.» Ethnisch-kulturelle Kriterien, nach denen Personengruppen objektiv als germanisch oder nicht-germanisch identifiziert werden könnten, gebe es nicht. Was Caesar dazu bewog, alle östlich des Rheins lebenden Völkerschaften mit Germanen zu identifizieren, ist in der historischen Forschung umstritten. Eine Erklärung könnte sich aus der Absicht des Feldherrn ergeben, den Rhein als Völkergrenze anzunehmen, derart eine tiefe Kluft zwischen Galliern und Germanen postulierend, und so sein militärisches Werk als «Eroberung Galliens» darzustellen. 1*

In diesem Fall wäre die geographische Unterscheidung von Kelten und Germanen auch politisch motiviert gewesen, konnte sie doch dabei helfen, den Herrschafts-anspruch Roms auf alle linksrheinischen Gebiete zu festigen. Hatte Caesar schon zuvor unterschiedliche Gruppen, die sich selbst als Aquitaner, Kelten und Belger verstanden, vereinheitlichend Gallier genannt, so übertrug er nun den Begriff «Germanen» auf verschiedene Völkergruppen rechts des Rheins 2*. Strukturell und der Ordnung halber mochten diese Unifizierungen für die Römer eine Vereinfachung gewesen sein. Ideologisch und von der anderen Seite aus gesehen, bin ich davon überzeugt, das sich die Stämme Nordeuropas nie in den Verbunden «Kelten-Gallier» und «Germanen» verstanden haben. Schade eigentlich, denn wenn sich die Völker östlich des Rheins als «Germanen» und westlich des Rheins als «Kelten/Gallier» in Bündnissen organisiert hätten und sich gegen die Römer verteidigt hätten, wäre der glorreiche Lorbeerkranz Caesars schon viel früher verwelkt oder hätte schief auf seinem Haupte gebaumelt. Dann wäre wohl die Geschichtsschreibung eine andere gewesen. Wiederum und anhand jüngerer Geschehnisse in der Geschichte Europas, wie man zum Beispiel am Zusammenschluss von nahezu 180 Völkern als Sowjetunion und den feindseligen Manövern nach ihrem Zerfall oder etwa den tief sitzenden Fehden innerhalb der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union sehen kann, fördert so ein «Alles auf einen Haufen kehren» bisweilen nicht unbedingt nur Gutes zu Tage. Die erstickten und langgehegter Nachbarschaftsstreitigkeiten und Feind-seligkeiten kochen dann irgendwann vielleicht gefährlich hoch. Wie lange wird es wohl dauern bis die Bayern, die Franken, ja sogar die Ober- und Unterfranken, die Pommern und die Preußen zum Beispiel beschließen, dass sie lieber wieder unter sich wären? Was, wen die Franzosen und die Deutschen wie eh und je befinden, dass sie doch nicht zusammen gehören? Wenn man nämlich aufmerksam ist und genau hin sieht, kann man beim Händedruck und beim inszenierten Grinsen in die Kameras durchaus erkennen, dass sich Politiker beider Staaten manchmal viel lieber die Keule auf den Kopf hauen würden...

Wenn ich also auf der Suche nach Wissen einen Streifzug durch die Geschichte mache, frage ich mich zuweilen, ob es nicht generell besser wäre, wenn jeder seine «eigenen Brötchen backen würde», ob nun Roggenbrötchen, Pumpernickel, Croissant oder Fladenbrot und ob es der jeweiligen menschlichen Natur wirklich nicht gegeben ist, ihre eigene Kultur zu würdigen und erblühen zu lassen und dabei das fremde Fladenbrot oder den Croissant von Zeit zu Zeit zu genießen und sich nicht gleich die Backstube, den Ort in dem sie steht und – ach, was soll's – gleich die ganze Nation einzuverleiben?


Text: Maren Kunst

Quellen: 1* Dieter Timpe: Germanen, Germania, Germanische Altertumskunde. I. Geschichte. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde. Bd. 11, Berlin/New York 1998 2* Hermann Reichert: Linksrheinische Germanen. In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde (RGA). 2. Auflage. Band 18, Walter de Gruyter, Berlin/New York 2001


Photo: phönix.de

Karikatur: Deutsch-Französisches Institut


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