"Der Gesandte"
In einer Welt, weit weg von der unsrigen, denn hier würde so etwas nie geschehen, kam vor ein paar tausend Jahren ein hoher Gesandter der Schöpfung zur Welt und mischte sich unter das Volk der Juschoiten. Die Geschehnisse in jener Zeit machten seine Erscheinung nötig und so machte es sich der Gesandte zur Aufgabe, die dort lebenden Menschen zu lehren, zu heilen und sie an das Vertrauen in die allgegenwärtige Schöpfung zu erinnern. Die Menschen dort nämlich lebten vielerorts unglücklich in Zorn und Streit, sie waren vom Glauben und vom Vertrauen abgekommen. Ihre Herrscher strebten nach Macht und irdischer Fülle und hatten ihren Blick von der Weite der Unendlichkeit abgewandt und sehnten nur noch danach ihr Spiegelbild prächtig erscheinen zu lassen und ohne Rücksicht auf andere ihr Territorium glanzvoll zu dekorieren.
Der Gesandte kam als einfacher Mann und erinnerte die Menschen an die Führung, Pracht und Herrlichkeit der Schöpfung, zeigte sie ihnen, so das sie sich wieder erinnerten, heilte die Kranken und lehrte die Wissenshungrigen mit Weisheit und Geduld. Er wurde vielerorts gepriesen und die Menschen folgten ihm und schöpften neuen Mut und vertrauten sich wieder der allgegenwärtigen Schöpfung an, die sie ja schuf und von je her lenkte. Mehr und mehr Menschen begleiteten nunmehr die Wanderung des Gesandten. Sie wandten sich ab von den geblendeten Herrschern und taten die Worte des Gesandten kund.Das blieb natürlich nicht ungehört und gesehen und so ließen die missgünstigen Herrscher den Gesandten verfolgen. Doch dies war nicht das einzige Übel. Auch unter denen, die ihm folgten waren Menschen, die zwar hohen Verstandes waren und eine hohe Moral vertraten, doch anstatt dem Gesandten vertrauensvoll und dankbar zu folgen und vom ihm zu lernen und zu wachsen, was sie zumeist ja auch taten, neideten sie ihm seine Weisheit und bedingungslose Güte. Der Gesandte erspürte das und erkannte die Gefahr. Er musste grausam erfahren, welch Unheil neidische und missgünstige Vertraute anrichten können. Er wurde von ihnen verraten und wenn auch mit Wehmut und Scham ans Kreuz geliefert. Er beteuerte lediglich ein Gesandter der Schöpfung zu sein mit der Aufgabe den Menschen wieder den Blick zu richten, weg von den weltlichen Wirren und Trügerein, hinauf zur unendlichen Fülle des Schöpfertums. Doch die Herrscher voller Neid und Wut wegen der entlaufenden Herde der Menschen, nannten ihn bloß einen Lügner und Scharlatan. Mit Lüge und Tücke hielten sie Reden vor dem Volk der Juschoiten. Verführt habe der Mann die Menschen und sie in die Irre gelenkt.
In dunklen Gewölben wurde der Gesandte qualvoll gefoltert und gedemütigt. Zerrissen war seine Haut und blutüberströmt lag er auf der Erde und wurde mit Hohn und Tritten geschändet. Vorbei geführt an seinen ehemaligen Folgern, die ihn nun anspuckten, an schrien und mit Dreck bewarfen, wurde er schließlich auf ein Stück Holz genagelt, so das ihn jeder der dort Anwesenden noch einmal belachen und beschmutzen konnte.
Als die grausame Tortur endlich endete, übergab man den Gesandten denen, die bis zum Ende mit Liebe und Treue bei ihm blieben. Sie bahrten den Geschändeten auf, salbten seinen zerschlagenen Körper und bedeckten die grausame Schmach der Menschen und seine tiefen Wunden mit einem weißen Tuch.
Nach drei Tagen gingen die, die ihm treu waren, zurück zu jenem Ort um ihn zu begraben. Sie waren begleitet von Abgesandten der Herrscher und Neugierigen aus dem Volke. Doch dort auf seiner Bahre lag lediglich das weiße Tuch, säuberlich zusammengefaltet ohne einen Fleck.
Die Getreuen nahmen weinend sanft das Tuch und knieten dankbar vor der Bahre, die Neugierigen erstarrten mit offenen Mündern und den Abgesandten der Herrscher lief vor Angst der Schweiß von der Stirn und sie wichen feige zurück von diesem Ort und rannten zu ihren Herren, um das Schrecken zu künden.
Die Nachricht vom Verschwinden des tot geglaubten Gesandten verbreitete sich wie ein Lauffeuer. Jene die ihn ruchlos verrieten, glaubten Buße zu tun, indem sie sich aus eigener Unverzeilichkeit entleibten oder um an einsamen Orten um Vergebung zu flehen. Das Volk der Juschoiten war zweigeteilt. Viele verdrängten ihre Schuld und verziehen sich, in dem sie sich sagten: „Andere hatten sich ja schließlich auch von ihm abgewandt und ihn mit Steinen beworfen“. Doch viele schämten sich für ihre Schuld und dafür, dass sie sich von den Hassreden der Herrscher blenden ließen und sich von ihm abwandten. Sie bedachten ihn mit Scham und Traurigkeit. Nun erst, da er nicht mehr da war, waren sie dankbar für jedes seiner liebevollen Worte und jede seiner heilsamen Taten.
Doch eine kleine Gruppe, darunter auch viele der Herrschenden, wollte ihre Schuld nicht einsehen und sie ersannen schlau einen anderen Plan, der ihnen nicht nur Gehör und Folgsamkeit des Volkes einbrachte, sondern auch noch Macht und Reichtum versprach.Sie planten hinter verschlossenen Türen und an einer Tafel mit goldenem Geschirr zu künden, dass der Gesandte nur deswegen auf Erden war, um den Menschen ihre Verfehlungen aufzuzeigen aber ihnen gleichsam in Großmut und Güte verzieh und das sein einziger Sinn war, für die Sünden der Menschen zu sterben. Was sie aber nicht wussten war, das der Gesandte in nicht materieller Gestalt mit an dieser Tafel saß und was sie nicht hörten war, das er entsetzt und traurig aufstand und die Tafel sowie den Raum mit den Worten verließ:
„Nein, meine Herren sie taten und tuen Unrecht!
Ich wurde geboren,
um zu leben,
genau wie sie.“
Der Plan ging auf. Mit rührseligen Mienen warfen sich die schlauen Herren auf weiche Kissen am Boden und kündeten von der Heiligkeit des Gesandten, der nur gekommen war um für die Sünden der Menschen zu sterben. Und die Menschen folgten ihnen endlich wieder, sei es aus schlechtem Gewissen oder mit der Hoffnung auf eine weisere Herrschaft.Jahrzehnte, Jahrhunderte und ein paar Jahrtausende hindurch erschien der Gesandte in unterschiedlichster und meist unscheinbarer Gestalt wieder und wieder in dieser Welt um zu sehen, was die Menschen aus seinem Erbe machten.
Größer und größer wurde sein Ärger und sein Groll. Friedliche und weise Völker wurden gezwungen an ihn glauben und ihre eigenen Götzenbilder wurden blutig zerschlagen. Die Reglision – so nannten die schlauen Herren die Gemeinde das, was sie aus der Präsenz und der Weisheit des Gesandten für sich reichtum- und machterbringend machten, wuchs und wuchs. Mit Demut, die sie selbst nicht kannten, erzwangen oder erkauften sie sich den Glauben der Massen und die Massen waren erleichtert für die teuer bezahlte Absolutionen ihrer Missetaten und vergaßen schnell die eigentliche Botschaft des Gesandten.
Der Gesandte musste in all der Zeit mit ansehen und ertragen, dass in seinem Namen gemordet, geschändet, gelogen und die Schöpfung missachtend gehandelt wurde.
Aus Ärger wurde Wut und diese Wut wuchs und wuchs in ihm. Er verstand seine damalige Aufgabe nicht mehr, fragte sich warum er so grausam verfolgt und geschändet wurde. Die Missinterprätation seiner Erscheinung verfolgte ihn wie der makaberste Hohn. WOZU fragte er sich, wozu habe ich ihnen gezeigt mit Liebe zu heilen und ihnen weisen Rat gegeben, wenn sie nichts anderes daraus ersinnen als Hass zu schüren, die Gabe der Schöpfung – das Leben zu vernichten und die Völker zu verdummen?
Man mag es verstehen oder nicht, ein paar Jahrtausende nach seiner ersten Erscheinung kam er wieder. Er kam wie damals wieder in unwirtlichen Zeiten als ein unscheinbarer Mann und mischte sich unter das Volk der Germanden. Doch nun wusste er, wie er ein Volk in Armut und Hunger erreicht, nämlich mit Lüge und schlauer Rhetorik. Zunächst wurde er verlacht für seine mächtigen Visionen, die dem Volk verhießen, etwas besseres zu sein. Es müsse ihm nur folgen und den unseligen Rest der in dieser Welt lebenden Menschen unterjochen. In seinen Visionen war die Herrschaft über alle Menschen nur das Beiwerk seiner Mission. Denn alles in ihm war auf ein einziges Volk gerichtet - das Volk der Juschoiten. Das Volk das ihn verraten, geschändet und getötet hatte und seine Lehre missbrauchte und benutzte und in seinem Namen über die Jahrtausende hinweg soviel Schande und Leid erzeugte, das selbst ihm als ein hoher Gesandter das Herz erfror.
Und so tat er es. Nunmehr kein Unscheinbarer mehr sondern Herrscher über das Volk der Germanden nahm er grausame Rache an dem Volk der Juschoiten, ließ sie verfolgen und grausam sterben. Er linderte zwar seine Wut doch seine scheinbar schlafende Wesensseele schlief nicht. Sie hatte sich ganz klein gemacht und sich in seinem zu Eis gefrorenen Herzen versteckt und weinte.
Der Rest der Welt begehrte auf und stellte sich ihm entgegen. Doch sie sollten ihn nicht richten, dass tat er selbst...
Mit schwerer Schande beladen, zog er sich zurück. Hier und da erschien er wieder in dieser Welt und lieferte sich in unsäglichen, grausamen und traurigen Inkarnationen selbst ans Messer. Wie konnte nur so eine Bestie aus ihm werden?
Ja, wie konnte nur so eine Bestie aus ihm werden? Wenn wir jetzt an den Anfang der Geschichte zurück kehren, wissen wir die Antwort. Sie ist so einfach, dass man das jahrtausendelange Gemetzel gar nicht begreifen kann. All das begann mit einer Lüge, deren Saat Neid, Missgunst, Hass und Verrat waren.
Ein letztes Mal noch wollte der Gesandte in dieser Welt in Erscheinung treten und auf die Wahrheit und ein ehrliches um Verzeihung bitten hoffen. So ließ er sich wieder gebären und schaffte es, dem Oberhaupt der Reglision vorzusprechen. In einer leidenschaftlichen Rede erzählte er dem Pontifay seine ganze Geschichte, von all seinen Inkarnationen angefangen als weiser Heiler, der von den Menschen verfolgt, gedemütigt und geschändet wurde bis hin zur völkermordenden und rachedürstenden Bestie, dem Massen von Menschen ehrfurchtsvoll „Wohlsein“ entgegen riefen und ihm getreu Folge leisteten.
Er gab zu, dass alle Facetten, die ein Wesen in sich in sich tragen kann auch sein Wesen füllten, angefangen von lichtvoll weiser Heilung bis in die aller-tiefste Dunkelheit, Zerstörung und Wahn.
Das Gesicht des Pontifay schwoll an über seinem steifen und festzurrten Kragen. Blutrot wurde es und sein Atem keuchte. Er schnellte auf von seinem edelsteingeschmückten Thron, erhob zittert den Arm und zeigte mit dem Finger auf den Gesandten. Er schrie, so gut er konnte, der steife Kragen war wirklich hinderlich: “Wache, hinaus mit diesem Wahnsinnigen. Seine Worte schänden das Antlitz des Heiligen. Das ist Blasphemie! Hinaus mit ihm!“
Der Gesandte erhob sich langsam und atmete tief ein. Mit verlorenem Lächeln durchstreifte sein Blick noch einmal die bis zur Decke reich geschmückte Halle. Traurig hielt sein Blick, an dem festgenagelten Abbild seiner selbst, verewigt im schönsten, feinsten und teuersten weißen Marmor, inne.
„Schon gut, ich gehe schon. Ihr braucht mich nicht hinaus werfen zu lassen. Meine Worte sind die Wahrheit und die Wahrheit schändet mein Antlitz nicht. Wenn ihr sie sprechen würdet und das war alles, worum ich euch heute bat, würde mein Antlitz heilen. Die Wahrheit ist, dass ich geboren wurde um zu leben. Sterben müsst ihr mit euren Sünden allein oder ihr macht euch mutig ans Werk euer Schicksal zu wandeln, eure Schuld zu bekennen, eure Verantwortung zu akzeptieren und nicht bei jeder eurer Missetaten und Missgeschicke die Götter anzuklagen. Blasphemisch ist hier einzig euer Antlitz. Guck dir mal deine teure Kutte an und dein goldenes Zepter! Ein wahres Mitglied aus dem Rat der Schöpfung würde so etwas nicht tragen, sondern es beim Pfandleiher versetzten und das Geld denen geben die krank sind und hungern“.
Er drehte sich um und ging und kam nie wieder in diese Welt. Und mit ihm gingen alle Gesandten, die mit ihm gekommen waren um die Menschen, ob im großen oder im kleinen Kreise, an die wahre Führung und Fügung zu erinnern. Und von nun an lag das Schicksal allein bei den Menschen in dieser Welt. Werden sie sich erinnern? Werden sie sich den wahren Gesetzen und der Ordnung dessen was sie schuf wieder unterordnen und werden sie die richtige Lehre aus dem Schicksal des Gesandten schließen und endlich begreifen, das das Schöpfertum keine Verjährungsfrist gewährt? Denn es verlangt nach Wahrheit und Heilung. Es gab ALLEM das Leben und wer diese Gabe zerstört, muss es bereuen und es wieder heilen. Und ehrliche Reue bedingt die Wahrheit.
Autor: Maren Kunst